20. 12. 1996 - Type C1: Vom Dienst in Wien abtreten!

Kaltes Wetter und mäßiger Schneefall hielt wohl einige Straßenbahnfreunde davon ab, nach Ottakring zu kommen und "46er schauen" zu gehen. Der "große Andrang" (Radio Wien) war ausgeblieben. Um 18.24 Uhr verließ der inoffiziell letzte Großraumzug den Joachimsthalerplatz: 102+1804, von Straßenbahnfreunden mit mehr oder weniger aussagekräftigen Zetteln beklebt. So hieß es z. B.: "Letzter Schaffnereinsatz in Wien" oder aber auch nur "46 Sarajevo" in unmotiviert platzierten Großbuchstaben.

Übrigens wies der Tw 102 wegen einer Abschiedsfahrt einiger Straßenbahnfreunde eine Besonderheit auf: Er war doppelt beschriftet, d. h. er trug sowohl die alte Beschriftung mit dem WStW-Emblem vor 1977 und Nummer über dem Scheinwerfer als auch die neue Version mit Wiener-Linien-Zeichen und Nummer zwischen Scheinwerfer und Ausstieg vorne. 102+1804 wurde noch von einem E1+c2-Planzug um 18.30 gefolgt und schließlich machte sich der Museumszug 141+1241 bereit zur offiziell allerletzten Großraumzugsfahrt. Am Fahrerplatz des Tw saß natürlich der Direktor des Wiener Straßenbahnmuseums, Harald Marincig.

Die Abfahrt um 18:36 Uhr verlief planmäßig, wenn es auch beim Besteigen des Zuges Probleme gegeben hatte: Der Museumszug war lange nicht benutzt worden, dementsprechend war auch die Schmierung der Türen nicht einwandfrei. Und da bei älteren Zügen die Türen bei Kälte immer wieder hängenbleiben, musste auch hier mit der Hand nachgeholfen werden, um die Türen zu bewegen.

Während der Fahrt in Richtung Dr.-Karl-Renner-Ring (Zielschild: "BELLARIA" - der Zug war mit alter Originalinnenbesteckung versehen!) kam es zu einem unvorgesehenen Zwischenfall: Der Fahrstrom fiel aus. Direktor Marincig ließ von den Schaffnern die Notbeleuchtung einschalten (die Verständigung erfolgte über Funkgeräte), meinte aber: "So laung ma foahrn kennan, foahr ma!" Er löste die Feststellbremse, und da die Thaliastraße Richtung stadteinwärts stellenweise leicht bergab führt, setzte sich der Zug gemächlich in Bewegung. Nach dem Passieren eines Oberleitungstrennstücks wurde der Stromabnehmer wieder angelegt, und die Fahrt konnte mit Strom fortgesetzt werden. Angeblich war der Stromausfall auf Sabotage zurückzuführen: Irgendjemand habe irgendwo "einen Bolzen entfernt" (bzw. vermutlich ein Vorhängeschloss geknackt und sodann einen Streckentrenner ausgeschaltet).

Die weitere Fahrt bis zur Bellaria verlief zwischenfallslos, und auch die Mechanik der Türen spielte wieder mit. Lediglich eine Hälfte des mittleren Ausstiegs war nicht benutzbar, da eine Trittstufe schadhaft zu sein schien. Eine der zahlreichen Aufsichtspersonen des Wiener Straßenbahnmuseums blockierte daher bei jeder Haltestelle diesen Teil. Die Schaffnerin verkaufte nicht wenige Fahrscheine, da etliche Leute ein Souvenir von der letzten Fahrt mitnehmen wollten. Die letzte Markierung lautete: I146+51Fr19+.

Der Schneefall ließ unterdessen nicht nach, und Direktor Marincig hatte zeitweise mit dem Druckluftscheibenwischer zu kämpfen. Einmal ließ er sich nicht und nicht bewegen (nicht einmal mit der Hand), ein andermal ratterte er wie wildgeworden hin und her, während Marincig am Ventil drehte und drehte, um den Scheibenwischer abzustellen. In der Maroltingergasse verabschiedete sich die letzte Schaffnerin von Wien und kassierte einen Applaus sowie standing ovations von all denen, die keinen Sitzplatz hatten. Vor dem Bahnhof Ottakring standen einige Straßenbahnfreunde, die den Museumszug mit Buhrufen begleiteten, da 102+1804 ihrer Meinung nach der echte letzte Zug war.

Schließlich wurde einer geringen Anzahl von Tramwayfans noch eine Ehre zuteil: Sie durften um 19:23 Uhr (Planankunftszeit in Ottakring) die Schleife Joachimsthalerplatz, die normalerweise ohne Fahrgäste befahren wird, aus dem Wageninneren erleben. Zum Schluss gab es noch Erinnerungsfotos, und auch der letzte Schaffner Wiens kam extra aus dem Expedit und stellte sich in voller Montur (Kappe und Schaffnertasche) vor den Museumszug, um sich fotografieren zu lassen.

Und da es oft auf Kleinigkeiten ankommt, wurde der Scheinwerfer des Tw 141 auf Stadtlicht geschaltet, um die Fotografen nicht zu blenden und bessere Aufnahmen zu ermöglichen. Schließlich, gegen 19:45 Uhr, hieß es endgültig "AUS". Der Museumszug setzte sich als Sonderwagen beschildert in Bewegung, um seine alte Heimat Ottakring zu verlassen und wieder ins Erdberger Museum zurückzukehren. Einige Großraumzüge fuhren Jahre später immer noch in Sarajewo. Sie waren nicht so leicht unterzukriegen, selbst wenn sie mittlerweile abgestellt sind und nur mehr vor sich hinrosten.