71er entgleist - 1 Toter, 54 Verletzte

Am Vormittag des 21. April ereignete sich Ecke Simmeringer Hauptstraße/Gottschalkgasse einer der schwersten Straßenbahnunfälle, die es in der letzten Zeit in Wien gegeben hat.

Die Unfallstelle befindet sich im Bereich der Schleife der Linie 6, die dort das Streckengleis der Linie 71 mitbenützt. Aus beiden Richtungen haben auch die Züge der Linien 71 und 72 die Möglichkeit, über die Schleife Grillgasse zu wenden. Die Weiche, die der Fahrerin des E2+c5-Zuges zum Verhängnis wurde, dient den stadtauswärts fahrenden Zügen (Richtung Kaiserebersdorf). Im Normalfall ist sie also geradeaus gestellt. Früher war diese Weiche auch mit dem ^Z^-Signal versehen; wenn ein Zug die Ablenkung befuhr, musste die Weiche wieder zurückgestellt werden. Wegen der totalen Umstellung auf Einmannbetrieb wurde die Z-Vorschrift bis auf Ausnahmen jedoch abgeschafft.

Um 11:08 Uhr stand die Weiche jedoch in der Ablenkung und wurde noch dazu statt mit den vorgeschriebenen 15 km/h mit 47 km/h befahren, was unweigerlich zur Entgleisung des Zuges führte. Die Kraft des an die 40 Tonnen schweren Zuges führte zum Abreißen der Kupplungsstange am Beiwagen (die Kupplung selbst ging nicht auf). Während der Triebwagen (4025) relativ harmlos an den Straßenrand schlitterte, und bloß zwei Autos zerquetschte und den Mast der Oberleitung fällte, bohrte sich der Beiwagen (1425) mit dem Bug in eine Bankfiliale und erfasste einen 19-jährigen Angestellten des Geldinstituts, der noch an der Unfallstelle verstarb.

Bei den mehr als 40 Verletzten handelt es sich um Fahrgäste der Straßenbahn. Sie konnten zum Großteil nach ambulanter Behandlung ihren Heimweg antreten. Die Straßenbahnfahrerin erlitt einen Schock.

Unglaubliches Glück hatte eine Frau, die mit Ihrem Kinderwagen gerade die Gottschalkgasse überquerte. Der Triebwagen zischte an der einen Seite an ihr vorbei, der Beiwagen an der anderen. Sie und ihr Kind blieben unverletzt.

Aus guten Gründen herrschen bei Weichenspitzenfahrt Geschwindigkeitsbeschränkungen - 15 km/h bzw. 6 km/h bei E-Weichen ohne Verriegelung (nur mehr in Gleisen ohne Linienbetrieb):

  1. Der Fahrer soll rechtzeitig erkennen können, in welche Richtung die Weiche gestellt ist.
  2. Bei E-Weichen besteht die Gefahr, dass bei ungünstigem Stromverlauf bei Überfahren des Abhebdrahtes die Weiche ungewollt umschaltet. Dies war der Fall bei einer Entgleisung an der selben Stelle (allerdings in stadteinwärtiger Richtung) am 20. 6. 1993. Die Weiche stand geradeaus, der Fahrer fuhr mit ca. 40 km/h auf sie zu und wurde kurz davor durch einen Pkw zu einer Notbremsung gezwungen. Dabei wurde Fahrstrom verbraucht (Magnetschienenbremsen!). Als der Bügel den Oberleitungskontakt überstrich, stellte sich die Weiche in die Ablenkung, sodass der Zug entgleiste. Es mag fast ein wenig unheimlich anmuten, wenn man die Wagennummern der Garnitur kennt, die 1993 in den Unfall verwickelt war: 4025+1425!
  3. Wenn eine Weiche dennoch in der falschen Richtung gestellt bleibt, kann es nicht zum Entgleisen kommen.
  4. Da Straßenbahn-, im Gegensatz zu U- und Eisenbahnweichen, keinen Spitzenverschluss haben, besteht bei hoher Geschwindigkeit die Gefahr, dass durch die Stöße die Spitzen zu vibrieren beginnen, was ebenfalls zur Entgleisung führen kann.
Bei den letzten drei schweren Straßenbahnunfällen in Wien (seit 1993) waren ausschließlich E2+c5-Züge beteiligt. In allen Fällen war die Fahrgeschwindigkeit zu hoch.

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