ULF-Sonderbericht (Teil 1)

Im Jahr 1992 stellte SGP das Konzept vor, mit dem stolzen Unterton, dass man es schaffen würde, den niedrigsten Tiefflurstraßenbahnwagen der Welt zu konstruieren. Zur Erinnerung: Von "Niederflur" (low floor) spricht man bei einer Bodenhöhe von ca. 30 bis 50 Zentimeter, darunter von "Tiefflur" (ultra low floor), woher die Abkürzung stammt.

Während sich Niederflurwagen noch mit herkömmlicher Technik verwirklichen lassen, ist bei Tiefflurfahrzeugen eine völlige Neukonstruktion des Fahrwerks nötig, da durchgehende Achsen nicht verwendbar sind. Weil bei SGP die Einstiegshöhe Weltrekord sein sollte, musste man den Wagenkasten auf verstellbaren Federbeinen lagern, damit die bei Schneelage notwendige Bodenfreiheit wenigstens im Sommer unterschritten werden kann. Gerüchten zu Folge soll dies der Grund für alle Fahrwerksprobleme sein.

Jedenfalls fand noch rechtzeitig vor dem EWR-Beitritt eine auf das SGP-Projekt zugeschnittene "Ausschreibung" statt, und ein Studienobjekt namens Versuchsträger, bestehend aus einem bereits fast dem heutigen Aussehen entsprechenden Vorderteil, einem alternativen Mittelteil und einem mit Motordrehgestell und Notfahrschalter versehenem c2-Heck wurde angefertigt.

Außerdem wurde in den E1 4498 ein dem ULF ähnlicher Drehstromantrieb zu Versuchszwecken eingebaut. Als problematisch erwies sich in diesem Zusammenhang die vorerst als tolle Umweltschutzmaßnahme gelobte Bremsstromrückspeisung, die bis heute im Straßenbahnnetz nicht verwendet wird. Da beim Überfahren von Streckentrennern nicht schnell genug auf Widerstände umgeschaltet wird, entsteht ein enormer Lichtbogen mit Gefahr der Beschädigung des Stromabnehmers oder der Oberleitung. Selbst mit den daraufhin bis heute fast flächendeckend eingebauten "Übergangstrennern" dürfte das Problem noch nicht ganz gebannt sein.

Im Jahr 1995, nach der Übernahme von SGP durch Siemens, wurden die beiden Prototypen mit den Nummern 1 (Type A - 24 m) und 601 (B - 35 m) in Dienst gestellt. Dabei wurden auch zwei Farbgebungsvarianten erprobt. Wie erwartet, mussten mehrere Nachbesserungs- und Einstellarbeiten vorgenommen werden. Als ungenügend erwiesen sich vor allem die Fahrwerksabstimmung, die Motorsteuerung und die Schalldämmung. Trotz der Erprobungsphase verzögerte sich die Serienauslieferung vorerst um ein halbes Jahr, und dann erwiesen sich die ausgelieferten Exemplare als kaum besser. Nicht zuletzt ein Grund für die ungenügende Qualität soll sein, dass Siemens wegen seiner Eigenentwicklung Combino kein Geld mehr in die ULF-Verbesserung stecken wollte.

Die Serienwagen wurden nachgebessert und wiesen erneut Mängel auf. Erst zu diesem Zeitpunkt, im März 1998, wurde die Bevölkerung vage über die Probleme informiert, während die Politiker die Wiener Linien baten, doch von Pönnale-Forderungen Abstand zu nehmen. Erstaunlich hoch ist auch der Stückpreis von ca. 25 bzw. 36 Millionen Schilling, der um ca. ein Drittel über dem vergleichbarer Konkurrenzprodukte liegt. Insbesondere ist seltsam, dass der Unterschied zwischen A und B, der bis auf zwei Motoren mehr in erster Linie aus dem normalen Wagenkasten besteht, ebenso 1 Million pro Meter ausmacht. Man sollte doch annehmen, dass die komplizierten elektronischen Einrichtungen den höchsten Wertanteil besitzen.

Endlich kamen im Mai 1998 die ersten Serienfahrzeuge in den Linieneinsatz - fast 11 Monate später als geplant. Obwohl die Qualität mit jedem neuen Wagen - zumindest, soweit für den Fahrgast ersichtlich - besser wird, dauert es noch immer zwei bis drei Monate zwischen Auslieferung und Erteilung der Betriebsgenehmigung. In dieser Zeit werden wohl die ärgsten Probleme beseitigt, aber einiges fiel uns als Fahrgäste auf, darunter viele Fehler, die an ähnlichen Teilen in anderen Fahrzeugen nicht auftreten.

Was hingegen von den meisten Laien als ULF-typischer Mangel gewertet wird, nämlich das laute Rumpeln beim Überfahren von Kreuzungen, lässt sich konstruktiv nur schwer vermeiden. Denn erstens befindet sich einfach weniger ^Material^ zwischen Schiene und Wagenboden, zweitens weist das Fahrwerk konstruktionsbedingt mehr Spiel auf als eines mit starren Achsen und drittens ist die Schalldämmung gegenüber Umgebungsgeräuschen (Verkehrslärm) und eigenem Motorlärm wesentlich besser, wodurch das direkt an den Wagenkasten übertragene Geräusch als umso unangenehmer empfunden wird. Objektiv gesehen waren die alten Holzkastenwagen durchaus lauter.

Hier die Daten der ersten Linieneinsätze (die Prototypen sind seit August 1998 abgestellt):

Datum Nr.
26.05.98 3, 602
30.07.98 4, 603
25.09.98 2, 5, 6, 604
15.10.98 7, 8, 605, 606
19.11.98 607
23.11.98 9, 10, 608
05.01.99 11
28.01.99 ? 609